Neubau Bank für Tirol und Vorarlberg

Götzis, Österreich
Foto © Bruno Klomfar
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Architekten
Frei & Ehrensperger Architekten
Standort
Götzis, Österreich
Jahr
1998
Bauherrschaft
Bank für Tirol und Vorarlberg Innsbruck

Text Otto Kapfinger
Die Service Bank als Schatzhaus Pavillon
Eine Handvoll Neubauten in Westösterreich demonstriert den Funktionswandel im Bankwesen. Computerisierung und Bankomat/Kreditkartenwesen verlagern viele Agenden aus der persönlichen Dienstleistung der Institute in die eigene Kompetenz der Kunden. Analog dazu wandeln sich die klassischen Schalterräume mit ihrer Trennung zwischen Kunden- und Personalzone zu offenen, informellen Selbstbedienungsbereichen. Nicht mehr der Kunde tritt im Regelfall an die hinter der Schalterbarriere stationierten Bankbeamten heran, sondern das Personal gesellt sich bei Bedarf zu den Kunden, die ansonsten nun selbstständig an frei im Raum verteilten Automatenpulten agieren; für die komplexeren Vorgänge von Anlageberatung und dergleichen zieht man sich gemeinsam in die sachlich-wohnliche Atmosphäre von speziell abgeschirmten Räumen oder Beratungs-Inseln zurück. Pointiert gesagt: das marmorstrotzende und säulenbewehrte Schatzhaus mutiert zum transparenten Pavillon, im Typus verwandt mit den früher beliebten, eleganten Automatenbuffets oder mit urbanen Internet-Steh-Cafes.

Die BTV Bank in Götzis, gestaltet von Lisa Ehrensperger & Roland Frei, ist ein Musterfall dieser Entwicklung, die in den mittelgrossen Gemeinden, von Lustenau bis Feldkirch, Wolfurt oder Sattains, markante Zuwächse ins Stadtbild bringt. Es sind durchweg autonome, kompakte Baukörper, unter denen jener in Götzis aus meiner Sicht das veränderte Leistungsprofil am treffendsten in ein Architekturkonzept umsetzt.

Die Neuorientierung der einschlägigen Bau- und Organisationsform hat übrigens historische Vorstufen. Urahnen der heutigen ServiceBank waren jene „service stations“, die im ersten Jahrzent des 20. Jahrhunderts im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten entstanden. In dem prosperierenden Gebiet rund um Chicago kreierten damals die Banken ein neues Selbstverständnis, sie errichteten auffallende Filialbauten, die sich als „Zentren“ ihrer Gemeinden darstellten und mit öffentlich nutzbaren Sitzungsräumen, eigenen Warte- und Schalterräumen für Damen, mit Ausstellungsflächen und besonderen Details ausgestattet waren. Kein geringerer als Louis Sullivan hat diese Wende vom würdevollen „Tempel“ – mit den Bankiers als den geheimnisvollen „Hohepriestern“ – zum modernen, demokratischen Dienstleistungsort geprägt. Erstmals realisierten damals die lokalen Institute eigene, freistehende Gebäude. Und Sullivans dekorierte „Schatullen“, seine mit kompakten, textilhaft strukturierten Aussenwänden versehenen und an strategischen Punkten mit neuartigen Ornamenten geschmückten „Kassetten“ zählen zu den eigenwilligsten Schöpfungen aus der Pionierzeit der Moderne.

Sullivans „Boxen“ vereinten hieratische Gediegenheit mit exuberanter Dynamik. Sie umhüllten meist einen sehr hellen, übersichtlichen Grossraum, der nur durch leichte Brüstungen, Möblierungen und niedrige Trennwände gegliedert wurde. Vom Eingang konnte man in der Längsachse direkt die kunstvoll detaillierte Tresortür am anderen Ende des Raumes sehen.
Schon damals erkannte man auch die paradoxe Dialektik von Bankhäusern: Um erfolgreich zu sein, müssen sie – damals wie heute – konservativ und zugleich progressiv auftreten.

An den verschiedenen Aspekten dieser Dialektik in ihrer heutigen Variation haben auch Frei & Ehrensperger sehr bewusst, sehr genau gearbeitet. Rein technisch könnte eine Bank heute durchaus nach der Metapher des „gläsernen, freundlichen Tresors“ gebaut werden. Dennoch braucht die menschliche Psychologie gerade in diesem Bereich einen Rest archaischer Konnotationen – Sicherheit, Abgrenzung, Solidität – um sich in unserem porös gewordenen Alltag noch zurechtzufinden.
So präsentiert sich die BTV im Ortskern, an der Hauptstrasse von Götzis, einerseits zurückhaltend, in gewisser Hinsicht fast hermetisch. Andererseits gibt der Bau klare Signale der Offenheit, der kontrollierten Kommunikation, der präzisen Durchlässigkeit. Der sandfarbene dreigeschossige Quader drängt sich nicht vor, tritt sogar etwas hinter die Flucht der Nachbarhäuser zurück, schafft damit eine dosiert spürbare Vorzone, bleibt zum südlichen Nachbarbau – entgegen der anfänglichen Absicht der Bauherrschaft – auf Distanz, öffnet damit die Durchblicke quer zum Strassenraum auf die östlich anschliessenden Gartenbereiche und den hier ansteigenden Hang, erreicht zugleich allseitige Belichtung für den Neubau und eine rundum attraktive Nutzbarkeit seiner Aussenräume, setzt so die traditionelle Körnigkeit der lokalen Baustrukturen fort und auch die generelle Typologie der kompakten, im Umriss minimierten Ein-Häuser der Region, interpretiert all dies aber in der Logik heutiger Materialien und Technologien.
In der nächsten Schicht der Gestaltung vertieft und intensiviert sich dieses bipolare Konzept. Die materielle und geometrische Massivität der neuen Bank-Box – eine „simple Betonkiste mit Schlitzen“ – wird in Technologie und Detailform entschieden aufgelöst: Das Schwere wird tendenziell leicht, die Hermetik wird porös, die oberflächliche Starre gerät in subtile Bewegung. Grosse, in horizontale Streifen unterschiedlicher Höhe gelagerte Betonplatten bekleiden die Tragstruktur aus Gussbeton und deren Mantel aus Dämmstoff, wobei die vorgehängte, applikative Natur der 10cm starken Fassadenplatten dadurch deutlich wird, dass ihre Stoss- und Lagerfugen als schmale Schattenlinien offenliegen. Das auf den ersten Blick an Zyklopenmauerwerk erinnernde, unregelmässige Fugenbild des Baublocks entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als untektonisches, grafisches Liniennetz. Dieser latente Membrancharakter der Plattenverkleidung ist zusätzlich unterstützt durch die sandgelbe Einfärbung und die samtige Textur der fein gestockten Oberflächen. Optische Festigkeit wiederum erhält die „Vertäfelung“ aus bis zu sieben Meter langen Platten durch das versetzte Übereck-Greifen an den Gebäudekanten, wo sich akkordiert mit den Fensterkanten und den Laibungen auch die konkrete Gesamtstärke der Aussenwände darstellt. Der „gestanzte“, homogene Ausdruck der Bauhülle mit den tiefen, frei überspannten Fensterschlitzen ist also von einer formal und statisch autonomen Deckschicht überlagert, die mit der angesprochenen Detaildurchbildung die Massivität der Gesamterscheinung wie ein Vexierbild relativiert.

Die kräftigen, asymmetrischen Öffnungen im glatten Baukubus verweisen schon auf das spannungsreiche Innenleben der Schatztruhe. An der Strasse empfängt die Kunden eine über zwei Stockwerke hochgezogene Glaswand. Der Durchblick ist bis zum anderen Ende des Gebäudes freigelegt. Über eine hohe Vorhalle betritt man einen offenen Raum ohne sichtbare Schutz- und Sicherheitseinrichtungen. Der Kunden-Selbstbedienungsbereich gleicht einem rundum mit Holz ausgeschlagene Etui, von allen Seiten lichtdurchflutet, wohnlich wie eine alte Wälderstube, deren Innenhaut – Eichenboden, Wand- und Deckenplatten aus teilweise gelochten MDF-Elementen – analog zur Aussenwirkung des Gebäudes betont homogen, detailarm gehalten ist. Diese „Holzschatulle in der Steinbox“ bildet den Rahmen für das Mobiliar, das nun eine dritte Variante von Autonomie ausspielt.

Wie minimalistische Skulpturen lagern Stehpulte und Sitzbänke in der Kundenhalle. Ihre Farbgebung und Oberflächenbehandlung – ein „chinesisches“ Rot, seidenmatt schimmernd – steigert noch die ohnehin schon beachtliche Emotionalität der inneren Holzbox. Der flammende, festliche Farbakkord wird durch die verhaltene, in sich ruhende Plastizität der Stücke jedoch gezügelt. Die kubische Haltung des Baukörpers wiederholt sich in der Kleinform des Mobiliars, ohne beim simplen Weiterstricken der Geometrie vom Grossen ins Kleine stehen zu bleiben. Entscheidend für die wohnliche, anregende Aura des ganzen Raumes wirkt das lebhafte Spiel des Tageslichtes, das über die grosse, bis zum Boden verglaste Öffnung der Südwand hereinflutet. So wird der Boden innen stark aufgehellt, gleichzeitig wird die Schachtelhaftigkeit des Raumes seitlich aufgebrochen und intensiv zu den hellen, neutralen Betonflächen des Hofraumes in Beziehung gebracht. Dieser südliche Hofbereich wurde durch eine neue Wand gegen den benachbarten Parkplatz abgeschirmt; er funktioniert als „Lichtbrunnen“ für die Kundenhalle und öffnet dem inneren Längsraum auch eine kontemplative Querachse. Dem Wunsch der Architekten, in diesem schön proportionierten, ruhigen Aussenraum eine Figur von Alberto Giacometti zu postieren, konnte die Bauherrschaft nicht nachkommen, doch auch die jetzt dort platzierte Skulptur harmoniert mit den Lichtstimmungen und den feinen Spuren von Vegetation im grafischen Muster der Sichtbetonflächen.

Wie konzentriert die Architekten hier ans Werk gingen, um aus dem trivialen Anlass ein Maximum an Raumwirkung herauszuholen, das zeigt auch die Verdichtung der technischen Leistungen des Gebäudes in eine 60cm starke Mittelwand, die ihre technische Komplexität hinter beinahe spurlosen Paneelflächen verbirgt und zudem die Trennung bildet zwischen der holztapezierten, primären Südschicht des Gebäudes und der weiss verputzten, nördlichen Schicht der Erschliessungs- und Sekundärräume.
Im ersten Obergeschoss liegen Besprechungsräume, Arbeitsplätze und an der Nordseite eine Teeküche. Auch hier sind Durchblicke längs und quer im ganzen Gebäude möglich, mit Markisen variierbar; über Glas- bzw. Milchglasflächen kommunizieren z.B. Teeküche und vorderer Besprechungsraum mit der SB-Halle. Im 2. Obergeschoss folgen weitere Büros und das Chefzimmer am Ostende. Auf dieser Etage öffnet sich der Bau mit einem verglasten Laubengang nach Norden. Durch eine Glaswand auch vom grösseren Besprechungszimmer erlebbar, ist der Kubus westseitig schliesslich mit einem „japanischen“ Dachgarten zum Himmel hin aufgeschnitten. Von der Strasse aus wird dieser hochliegende „Hof“ durch den gerahmten Ausschnitt der Fassade spürbar – eine partielle Erosion des massiven Prismas, ein Leichterwerden nach oben, eine Antwort auch auf Massstab und Duktus der Nachbarbauten.

Die BTV Götzis erhielt – wie in der Kürze bloss angedeutet werden kann – nicht allein die heute regional so aktuelle „strenge Kiste“. Der Bau von Ehrensperger & Frei bietet bei aller Reduktion seiner Elemente eine erstaunlich dynamische, genau choreografierte, nach allen Richtungen in den Stadt- und Landschaftsraum der Nachbarschaft hinauswirkende Erlebniswelt. Innen ist mit Innen und Aussen verknüpft, mit einem Spectrum vielfältiger Sicht-, Weg- und Bewegungspotentiale. Die Statik des Kubus ist auch auf der energetischen Ebene der optischen, motorischen und atmosphärischen Nutzungen extrem dicht durchkreuzt und destruiert. Die perfekt erfüllte Funktion wird eben dadurch zur Architektur, dass hier die Dienstleistung in eine übergeordnete „Raumbühne“ gebettet ist, welche die Merkmale des Ortes zum gestalteten Topos, zum Lebens-Raum transformiert, und dazu das bankenspezielle Thema der Ambivalenz zwischen Hermetik und Offenheit, zwischen Bewahren und Entwickeln als gestalterischer Vektor, als ideelles Leitmotiv benutzt und entfaltet.

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